Die Welt auf den Füßen

Wir ändern die Sachen, die geändert werden müssen. Wir ändern die Sachen, die wir nicht länger hinnehmen können. Mit diesem Gedanken folgen wir der afroamerikanischen Philosophin und Aktivistin Angela Davis und konzen­trieren uns auf Schritte im Hier und Jetzt, die wir beeinflussen können. Die in diesem Buch zusammengetragenen Ideen und Methoden sollen genau dazu ermutigen: Gemeinsam für eine radikale, sozial-ökologische Transformation zu kämpfen, weil die gegenwärtige kapitalistische Kackscheiße nicht länger hinnehmbar ist.

Mit dem Handbuch, das du und ihr jetzt in den Händen haltet, möchten wir einen Einstieg in wichtige Themen bieten, vor denen Initiativen, politische Gruppen, Bündnisse, aber auch engagierte Einzelpersonen stehen, wenn sie Wandel anstoßen wollen. Als Autor*innen-Kollektiv möchten wir einen Beitrag leisten zu Transformationsstrategien für soziale Bewegungen und der gesellschaftlichen Linken im deutschsprachigen Raum. Einen Beitrag – keinen Masterplan. Entsprechend ist dieses Handbuch auch eine Einladung zum Kritisieren, Weiterdenken und -machen. Da wir Transformation als offenen Prozess verstehen, wünschen wir uns eine Debatte darüber, welche Probleme, Formate oder Übungen noch zu wenig sichtbar sind oder gar fehlen. Welche Ansätze und Methoden funktionieren für euch gut – welche gar nicht? Welche neuen Ideen und Prozesse konnte das Handbuch anstoßen? Wo sind weiterhin Leerstellen in der Transformationsdebatte? Wer wird zu wenig in diesen Fragen gehört?

Eine transformative Praxis für sozial-ökolo­gischen Wandel ist für uns auch dadurch geprägt, Widersprüche zu halten – auch und gerade in der gesellschaftlichen Linken. Dinge sind komplex und wir untrennbar miteinander und in ein ausbeuterisches System verwoben. Es braucht Formate und Räume, um über innere wie äußere Widersprüche ins Gespräch zu kommen. So zieht sich ein wesentlicher Widerspruch durch dieses Buch, spielt sich in uns persönlich und zwischen uns ab und prägt auch die Illustrationen: ein Streit zwischen Plan und Offenheit. Ein Streit zwischen der Frage, wie wir einerseits rationale Pläne und kontrollierbare Strategien schmieden können. Und andererseits der Einsicht, dass genau dies militärischer und patriarchaler Logik entspricht und schlecht in unsere sich stets wandelnde Gesellschaft und unser Verständnis von Transformation passt. Diesen Widerspruch gilt es auszuhalten.

Sich so intensiv mit den Prinzipien, nach denen Transformation verlaufen kann, auseinandersetzen zu können, ist ein Privileg, das in den gegenwärtigen Verhältnissen nicht jede*r hat. Dafür braucht es zuvorderst Freiräume und -zeiten: eigene finanzielle Absicherung, Menschen, die uns bei der Care-Arbeit unterstützen, Arbeitsräume, digitale Tools, und so weiter. Wir haben in der Bearbeitungszeit besonders stark gespürt, wie wesentlich all das für das Gelingen unseres Projektes war. Wir sind dankbar für das viele Feedback, das wir erhielten, sowie für Interviews, die wir führen konnten, um Erfahrungen anderer miteinzubeziehen. Trotz dieser

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Impulse steht für uns außer Frage, dass unsere eigenen Privilegien sich auf die Ausrichtung des Buchs und Auswahl der Strategie-Bausteine auswirkten. Wir sehen, dass aus diesem Grund manche Themen recht kurz kommen, zum Beispiel die Auseinandersetzung mit Alltagskämpfen und weniger verkopfte Zugänge zu dem Thema Transformation.

Bei der Arbeit an diesem Buch war unser wichtigster Anspruch, Transformationsstrategien zu bündeln, sodass sie verständlich und alltagstauglich sind und entsprechend auch Umsetzung finden – ohne dabei die Komplexität des Unterfangens aus dem Blick zu verlieren. Wir fragten uns: „Geht das?“ Bei der Beantwortung musst du uns nun helfen. Uns war klar, dass die Arbeit an dieser Frage einige Zeit brauchen würde. Nun – nach zweieinhalb Jahren mit unzähligen Arbeitstreffen online und in Präsenz, zig Feedbackschleifen, nicht enden wollenden To-do-Listen und schönen Austauschmomenten an Lagerfeuern, am Meer und beim gemeinsamen Kochen – wissen wir: Der Schreibprozess könnte immer noch ein paar Monate oder Jahre weitergehen. In der Geschichte sozialer Bewegungen, in den Erfahrungen andernorts, in den tagtäglichen Kämpfen, in Forschungen und Studien gibt es noch so viel aufzuspüren, das für transformative Bewegungen bedenkenswert sein kann. Wir könnten und werden auch weiter aus Erfolgen und Misserfolgen vergangener und aktueller sozialer Bewegungen Erfahrungen ziehen und uns mit ihren Kämpfen und Utopien verbinden. Für dieses Handbuch haben wir uns nun aber entschieden, zu einem (vorläufigen) Ende zu kommen und es als Diskussionsbeitrag für die Suche nach Transformationsstrategien zur Verfügung zu stellen. Eben weil wir keinen abgeschlossenen Prozess dokumentieren, sondern mitten in einer Transformation sind.

Viele Menschen und Gruppen sind gemeinsam längst dabei, die Welt auf den Kopf zu stellen und die Verhältnisse herumzuwirbeln. Und Transformation heißt auch: Während diese radikale Veränderungen laufen, stellen sie die Welt gemeinsam auf neue Füße. Durch ihr Tun, durch neue Beziehungen miteinander und mit der natürlichen Mitwelt festigen Menschen in sozialen Bewegungen und emanzipatorischen Initiativen alltäglich eine Gesellschaft, in der ein Gutes Leben für alle möglich(er) wird. Das braucht einen langen Atem. Wir hoffen, dass dieses Handbuch dich und euch motiviert und darin unterstützt, weiter dran zu bleiben!

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